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Gefühlsschwankungen – Besuch beim BSV Lichtenberg am 26.09.2023

Bei schönstem sommerlichen Wetter kam ich vom Regen (Unort Innsbrucker Platz) in die Traufe (Unort Bahnhof Lichtenberg mit querender Frankfurter Allee). Hier war ich noch nie und so traf mich die Realität gänzlich unvorbereitet.

Um das Ziel, die Turnhalle in der Hagenstraße zu erreichen, muss die 6-spurige Frankfurter Allee entlang der Skandinavischen Straße unterlaufen werden. Man fragt sich unwillkürlich, was die armen Skandinavier verbrochen haben.


OK, in dem Moment, in dem man die Hagenstraße erreicht, betritt man eine andere Welt in Form einer von Altbauten geprägten Wohngegend. Endgültig versöhnt war ich in Anbetracht einer Eisdiele, die gegenüber vom Schulgelände, Kita und Turnhalle angesiedelt ist. Versorgt mit soul food befand ich die Szenerie einschließlich eines Eichhörnchens, welches über das Schulgelände sprang, geradezu als idyllisch.


Vor dem Training nahm sich Daniel Melde,

der Vereinsvorsitzende und Haupttrainer des heutigen Erwachsenentrainings netterweise die Zeit für ein Gespräch über den Verein. Der 1989 geborene Daniel ließ keine Zeit verstreichen, begann schon 1996 beim Verein SG FEZ Wuhlheide e.V. mit dem Karate (aktuell 3. DAN, Trainer-C-Lizenz ) und blieb seitdem dem Sport treu.

Gefragt, was ihn am Karate besonders fasziniere, gibt Daniel die folgenden Aspekte an: die Präzision und das Arbeiten an der Perfektion, das zur Ruhe kommen und der in diesem traditionellen Sport vermittelte Respekt.


Die SG FEZ hatte immer zwei Standorte: einen in Köpenick und den in Lichtenberg. Irgendwann entwickelten sich parallel zu den Trainingsstätten unterschiedliche Auffassungen zum Karate. Man beschloss, diese Differenzen nicht weiter auszutragen, sondern den Verein entsprechend zu trennen. Das muss in einem vernünftigen und fairen Prozess stattgefunden haben und die Mitglieder blieben im Wesentlichen an den Standorten, an denen sie bereits vorher trainiert hatten. Die Gruppe in der Hagenstraße gründete dann Ende 2021 den BSV Lichtenberg e.V. neu, der aktuell an die 90 Mitglieder hat. Der Verein wird stark nachgefragt und es gibt bereits Wartelisten für Neuaufnahmen. Die Kapazitäten des Vereins sind einerseits natürlich durch Hallenzeiten begrenzt (immerhin bietet der Verein an 4 Tagen 9 Trainingseinheiten an), andererseits durch die Trainerkapazitäten. Alle 6 Trainer*innen sind berufstätig und somit zeitlich beschränkt. Daniel selbst ist Gymnasiallehrer für Französisch und Latein. Er ist ein Verfechter des Ehrenamtes und auch davon, dass das Ehrenamt angemessen honoriert und anerkannt wird. Besonders stolz ist der Verein auf die ersten sportlichen Ausrufezeichen: Sowohl 2022 als auch 2023 waren sie mit Startern bei den Deutschen Meisterschaften der Schülerinnen und Schüler vertreten. Sportliche „Talente“ versucht der BSV Lichtenberg im Rahmen von Leistungstrainings gezielter zu fördern. Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder, die zwischen 5 und 60 Jahre alt sind, betreiben Karate als Breitensport. Außerdem gibt es einige familiäre Verknüpfungen im Verein: Nicht selten trainieren Geschwister oder Eltern und Kinder gemeinsam im BSV Lichtenberg.



Wie im Ursprungsverein hat sich auch in dieser Gruppe ein Zusammenhalt entwickelt, der über das gemeinsame Training hinausgeht. Die Erwachsenengruppe besucht gelegentlich gerne ein in der Nähe gelegenes Lokal und im Herbst fährt man zusammen ins Trainingslager. Die Weihnachtsfeier zum Jahresende wird von allen Mitgliedern, Eltern und Freunden des Vereins als fester Termin im Kalender geschätzt. Im Sommer organisiert der BSV Lichtenberg einen Spendenlauf, bei dem Vereinsmitglieder und Eltern für einen guten Zweck durch den Lichtenberger Kiez laufen. Die Zusammengehörigkeit kann man meines Erachtens sofort spüren, als Daniel und ich die gepflegte Halle zum Training betreten. Auch ich als „Fremdling“ werde gleich ins Gespräch verwickelt und die Vereinsmitglieder berichten, wie wohl sie sich im Verein fühlen und dass man ganz gut über die jeweilige Befindlichkeiten der anderen Bescheid weiß. Es scheint ein Ort zu sein, an dem man schnell heimisch werden kann.




Der auf mich sanftmütig wirkende Daniel forderte dann im Training der Gruppe erheblich Leistung ab und das Training verkörperte die Punkte, die Daniel vorher gesprächsweise zum Karate formuliert hatte. Die Atmosphäre war ruhig, entspannt bis heiter. Schwer vorstellbar, dass Daniel die Stimme erhebt und das muss er bei der Trainingsgruppe auch nicht. An diesem Training nahmen 16 Sportler*innen quer durch alle Graduierungen und verschiedener Altersgruppen mit offensichtlicher Begeisterung teil. Nach dem Aufwärmen übernahm Sabrina, die einzige Trainerin des Vereins, die Schulung von zwei Karatekas mit niedrigen Graduierungen. Wie ich später erfuhr waren auch die anderen Vereinstrainer bei dieser Einheit anwesend.




Sehr beschwingt verließ ich das Training mit dem guten Gefühl, dass es in unserer gelegentlich abweisend wirkenden Stadt Oasen des friedlichen Miteinanders gibt und dass das Karate eine unglaubliche Vielfalt für Körper und Seele bietet.


Der Ausflug endet zwar nicht mit dem „Tunnel über die Spree“ sondern über den S-Bahn-Gleisen und nicht mit dem „Moon of Alabama“ sondern über der Storkower Straße. So ist das eben.



Verfasserin:Brigitte Benjes

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